«Eine Million unterschiedliche Reisen» — so lautet der Slogan vom Tourismusbüro Papua-Neuguinea.
Ich darf mich zu den Glücklichen zählen, die eine Einladung erhalten haben, den exotischen Inselstaat zu besuchen. Im Osten der Insel Neuguinea treffe ich auf neugierige Menschen, naturbelassene Landschaften, und mache einen viel zu kurzen Abstecher in ein unberührtes Unterwasserparadies. «Avinun» Papua-Neuguinea!
Vorfreude ist bekanntlich die schönste Freude. Ich koste sie mehr aus, als mir lieb ist, denn die Anreise nach Papua-Neuguinea zieht sich ganz schön in die Länge. Immerhin ist es äusserst bequem im oberen Deck der A380-Maschine von Singapore Airlines. Kurz vor Sonnenaufgang landen wir in Singapur. Der Weiterflug nach Port Moresby, der Hauptstadt Papua-Neuguineas, ist erst für den Abend geplant und dauert nochmals sechseinhalb Stunden. Von dort aus geht es im Flieger weiter ins nördlich gelegene Wewak. Der Ort ist Ausgangspunkt für alle Touren in das umliegende Gebiet, das nach dem längsten Fluss des Landes, dem Sepik, benannt ist.
Die Landschaft ist geprägt von Sumpfgebieten, Mangroven und dichtem Dschungel; dazwischen am Ufer liegen traditionelle Dörfchen, die nur auf dem Wasserweg erreichbar sind. Die nächsten Tage begleitet uns Philip, ein lokaler Guide mit deutschem Namen — diese tragen aufgrund der Deutschen Kolonialisierung so viele hier. Mit ihm sind wir, ich und vier weitere Reisefachleute, auf dem Weg nach Pagwi und schon unterwegs öffnet sich mein Herz bei der ersten Begegnung mit Einheimischen, die sich Nationals nennen. Wir blicken in strahlende Gesichter und sehen staunende Kinderaugen. Die Kleinen rennen hinter unserem Bus her und rufen begeistert: «white men, white men». An uns zieht eine Landschaft vorbei, so grün und unendlich weit, wie ich es bisher noch nie gesehen habe.
In Pagwi steigen wir auf ein motorisiertes Kanu um. Das Tagesziel, das Dorf Ambunti, liegt vier Stunden entfernt. Doch schon einige Kilometer flussaufwärts stehen wir mitten im Stammesalltag. Zwischen auf Stelzen gebauten Hütten baden Kinder; Frauen waschen Kleider im Fluss, während Männer an Kanus arbeiten. Das Leben dreht sich um den Sepik, der schon seit Jahrtausenden als Grundlage für Nahrung, Transport und Kultur dient. Der Fluss windet sich wie eine braune Schlange durch die tropische Landschaft. Er entspringt dem nördlichen Hochland und fliesst über 1000 Kilometer durch das Land, um sich in den Pazifik zu ergiessen. Entlang dem Sepikufer leben fast eine halbe Million Menschen in unterschiedlichen Stämmen. Diese tragen exotische Namen wie Arapesh, Abelam oder Iatmul. Bekannt sind die Stämme insbesondere für ihre Schnitzereien und das Skarifizieren — ein Ritual, eng verbunden mit der mythologischen Schöpfungsgeschichte des jeweiligen Dorfes, bei dem den Leuten Muster in Körperstellen geritzt werden. Die Narben sollen an Krokodilhaut erinnern, denn das Krokodil wird von vielen Stämmen als spirituelles Schöpfungswesen verehrt.
Philip führt uns in ein Dorf, wo wir mit Erlaubnis des Häuptlings das spirituelle Haus der Ahnen aus Bambus und Holz betreten. Es wird von den Einheimischen «Tambaran» genannt und ist nur einheimischen Männern und Besuchern vorbehalten. Hier werden alle bedeutenden Entscheidung getroffen, kostbare Schnitzereien aufbewahrt und traditionelle Rituale durchgeführt, erklärt uns Philip. Alle scheinen sie sich mit ihren Trommeln in Trance gespielt zu haben. Plötzlich steht ein muskulöser Mann vor mir, dessen Rücken wunderschön aber wohl auf schmerzhafte Weise verziert ist. Die Zeichnungen erinnern tatsächlich an Krokodilhaut. Wir haben leider keine Zeit, um noch länger im Tambaran zu bleiben, denn am selben Tag müssen wir Ambunti erreichen.
Philip stösst unser motorisiertes Kanu vom Ufer ab. Das Boot schaukelt leicht, als er rüberspringt. Viel kann ich nicht sehen — nur dunkles Wasser, Treibholz und die Pflanzen im runden Schein von Philips Taschenlampe. Es ist noch dunkel, als wir am Morgen von Ambunti aus starten und uns auf die Suche nach Paradiesvögeln machen, für die Papua-Neuguinea so bekannt ist. Das Tier ist auch auf dem Wappen abgebildet.
Alles ist in Nebel gehüllt; die Luft ist warm und feucht, als wir anlegen und unser kleines Dschungeltrekking starten. Schon nach kurzer Zeit entdecken unsere Guides die farbenfrohen Vögel in den Baumkronen des uns umhüllenden Regenwaldes. Für mich sehen sie aus wie farbige Flecken, die das schier unendliche Grün unterbrechen. Erst später, als wir schon zurück in der Lodge sind und ich die Fotos auf meiner Kamera durchschaue, realisiere ich, wie wunderschön und elegant die Vögel sind. Ihr Gefieder leuchtet grell orange und die Schwanzfedern sind richtig lang. Wir kehren noch am selben Tag zurück nach Pagwi — und von dort aus reisen wir weiter via Wewak auf die Insel New Britain.
Auf dem Sepik werden wir von mehreren Seeadlern verabschiedet, deren Flügelspannweite mich in Staunen versetzt. Philip lässt es sich nicht nehmen, uns auf dem Rückweg noch in ein anderes Dorf zu führen. Dieses Mal erwartet uns ein noch spezielleres Empfangskomitee, dank dem wir uns um einige tausend Jahre zurückversetzt fühlen. Die Bewohner des Dorfes haben ein kleines Sing-Sing für uns organisiert. Das Sing-Sing-Festival besteht aus Kriegstänzen mit Bambusspeeren und knallbunten Kostümen. Von allen Stämmen wird es zum Unabhängigkeitstag in Goroka und Mount Hagen gefeiert. Auch in den Dörfern veranstalten sie zu besonderen Anlässen wie Hochzeiten ihr eigenes Sing-Sing-Festival. Dann schmücken Urwaldgräser, grünblaue Pfauen- und riesige Greifvogelfedern die Köpfe der Einheimischen. Ihre Körper sind mit Öl eingerieben, damit sie schön glänzen. Der Häuptling eröffnet die Zeremonie mit urchigem Geschrei, danach ertönen die uns schon bekannten Trommeln und die maskierten Bewohner tanzen rhythmisch auf dem Dorfplatz. Zum Abschluss werden wir erneut ins Zentrum des Dorfes gebracht, wo wir in Ruhe dem Treiben zusehen und aus dem Staunen nicht mehr herauskommen. Auch hier steht wieder ein Tamburan — dieses Mal zeigt der Eingang ein fantasievolles Bild aus Schnitzereien und Malereien; die Form des Daches erinnert an den offenen und mächtigen Kiefer eines Krokodils.
Am nächsten Tag landen wir in Hoskins auf der Insel New Britain. Auf dem Weg in unser Hotel, das Walindi Plantation Resort, ziehen tausende Palmen an uns vorbei — dieser Teil der Insel ist für seine Palmölplantagen berühmt. Ich merke, wie ich ungeduldig werde, denn ich kann es kaum erwarten, die Tauchausrüstung zu montieren und in das tiefe Blau des Bismarcksees einzutauchen. Am Tag danach ist es soweit. Nur noch schnell überprüfen, ob die Leihausrüstung passt: Anzug, Lungenautomat, Tarierweste, Flossen — alles wunderbar. Der Motor rattert und das Boot steuert unseren ersten Tauchplatz an: Inglis Shoal. Beim Abtauchen kontrolliere ich meinen Computer, blicke wieder auf und starre in die Augen eines kleinen Schwarzspitzen-Riffhais. Ich fühle mich noch überhaupt nicht bereit für diese Begegnung, doch innerlich juble ich. Während ich meine Ausrüstung am Riff nochmals kontrolliere, kommt aus der Ferne wohl die Mutter des Riffhai-Babys, ein Tier von etwa drei Metern Länge. Majestätisch zieht sie ganz nah an mir vorbei. Mit der Zeit bin ich zur Überzeugung gelangt, dass wir die allerersten Taucher an diesem Riff sind — die Unterwasserwelt wirkt absolut unberührt und die Tiere neugierig. Eine riesige Gorgonie mit einem winzigen Pygmäenseepferdchen entdecke ich beim zweiten Tauchgang am Katherine’s Reef. Wir tauchen durch eine kleine Schlucht, nach der rechts und links schwindelerregende Steilwände in die Tiefe sinken. Weichkorallen in allen Farben und Variationen schmücken diese Drop Offs — ein in Sonnenlicht getauchtes Feuerwerk der Farben. Der dritte Tauchgang am Nachmittag bringt uns zur Insel Restorf, wo uns der Guide Grundeln und Fangschreckenkrebse verspricht, die wir auch alle aufspüren. Sogar ein Walkman-Fisch — ein Skorpionfisch, der nicht schwimmt, sondern sich gehend bewegt — und ein Oktopus kreuzen unseren Weg.
«Eine Million unterschiedliche Reisen»: Der Slogan des Tourismusbüros von Papua-Neuguinea verspricht keineswegs zu viel. Meine Reise in diese mir unbekannte Welt mit ihrem geheimnisvollen Fluss, den Stämmen und der unberührten Unterwasserwelt hat mich zutiefst berührt.
Dieser Beitrag wurde unterstützt von Manta Reisen
Fotos: Jessica Clarisse, Simone Rudzinski, iStock