Guayaquil, die grösste Stadt Ecuadors empfängt uns bei der Landung mit feuchtheissen 30° Celsius. Allerdings bleibt uns nicht wirklich viel Zeit, um dieses heisse Wetter zu geniessen, denn bereits am nächsten Morgen nehmen wir unseren Mietwagen in Empfang. Unsere Reise führt uns ins kühlere Hochland von Ecuador, dahin wo die mächtigen Vulkane wie der Chimborazo und der Cotopaxi das Landschaftsbild und das Leben der Menschen bestimmen.
Unsere erste Etappe ist zugleich auch eine der anstrengendsten auf der gesamten Reise. Von Guayaquil auf Meereshöhe fahren wir nach Cuenca auf 2550 Metern Höhe. Dazwischen gilt es allerdings noch den Pass Tres Cruces im Cajas-Nationalpark zu bezwingen, dessen höchster Punkt auf 4160 Metern liegt. Die Fahrt ist schlicht spektakulär. Sie führt uns zuerst durch das tropische Tiefland, geprägt von Bananen-, Kakao-, Zuckerrohr- und Reisplantagen. Unterwegs gönnen wir uns an einem der kleinen Verkaufsstände am Strassenrand eine gekühlte Kokosnuss. Nach etwa eineinhalb Stunden windet sich die Strasse in die Höhe. Die tropische Landschaft wird durch den immergrünen Nebelwald abgelöst, der seinem Namen alle Ehre macht. Teilweise beträgt die Sicht aufgrund des dicken Nebels kaum zehn Meter. Im Schneckentempo arbeiten wir uns voran, bis wir endlich die Nebelwand durchbrechen. Ein unglaublicher Moment: Hier eröffnet sich uns der atemberaubende Blick über die unter uns liegenden dicken Nebelschwaden und das tropische Tiefland bis hin zur Küste.
Auf der Weiterfahrt nach Oben wird die Luft immer dünner. Unser Puls rast und die Atmung wird schneller. Gleichzeitig wird die Vegetation immer karger, je höher wir hinauffahren. Der Cajas-Nationalpark ist ein kleines Juwel mit einer Vielzahl an Lagunen, Seen und tiefen, schachtelförmigen Tälern. Wir sind froh, die extremen Höhenlagen bald wieder zu verlassen und freuen uns auf eine erholsame Nacht in Cuenca.
Unser erstes Etappenziel im Hochland ist die Stadt Cuenca. Vom Aussichtspunkt Turi verschaffen wir uns einen ersten Überblick. Grünen Adern gleich, bahnen sich die insgesamt vier Flüsse ihren Weg durch die einstige Inkahauptstadt des Nordens. Bei einem Spaziergang entlang dem Flussufer des Rios Tomebamba geniessen wir die beschauliche Atmosphäre der Stadt. Einige Indígena-Frauen reinigen im eisigen Flusswasser die Wäsche ihrer Familien und legen die Kleidungsstücke am Flussufer zum Trocknen aus. Geschäftiger zu und her geht es in der öffentlichen Markthalle 10 de Agosto, sowie auf dem Blumenmarkt neben der neuen Kathedrale, dem Wahrzeichen der Stadt. Ihre drei blaugekachelten Kuppeln sieht man bereits von Weitem in den Himmel ragen. Interessant ist, dass die beiden Haupttürme der Kathedrale nie fertiggebaut wurden, da die Statik die ursprünglich geplanten Glockentürme nicht tragen würde. Dies tut aber der Schönheit der Kathedrale keinen Abbruch. Cuenca ist ebenfalls eines der wichtigsten Zentren der Herstellung von Panama-Hüten. Aus diesem Grund lassen wir es uns nicht nehmen, die Produktionsstätte von Homero Ortega zu besichtigen, einem der führenden Panamahut-Hersteller. Auf dem kurzen Rundgang wollen wir wissen, warum der aus Ecuador stammende Hut den Namen des zentralamerikanischen Staates trägt. Im Jahr 1855 sollen die Hutmacher aus Montecristi dem französischen Kaiser Napoleon III ein Exemplar dieses Strohhutes geschickt haben. Weil dieser aber in Panama verschifft wurde, nahmen die Franzosen irrtümlicherweise an, dass es sich um ein Produkt aus eben diesem Land handle. Auch der Fakt, dass der US-Präsident Theodore Roosevelt bei der Eröffnung des Panama-Kanals einen solchen Hut trug, zementierte die Annahme, dass der Hut ursprünglich aus Panama stammt.
Wir fahren weiter auf der Strasse der Vulkane Richtung Riobamba am Fusse des mächtigen, schneebedeckten Vulkans Chimborazo. Der 6267 Meter hohe inaktive Vulkan ist der höchste Berg in Ecuador. Leider zeigt sich das Wetter hier nicht von seiner besten Seite, es regnet in Strömen und der gewaltige Vulkan versteckt sich hinter einer dicken Nebelwand. Wir lassen uns die Stimmung allerdings nicht verderben und machen es uns mit einem Glas Wein vor dem lodernden Kamin der Hacienda La Andaluza gemütlich. Hier erfahren wir auch die eine oder andere interessante Episode aus der rund 460-jährigen Geschichte der Hacienda, die ursprünglich unter dem Namen Hacienda Chuquipoguio vom Spanier Don Hernando de la Parra erbaut wurde und seither Schauplatz vieler geschichtsträchtiger Ereignisse war. Selbst der grosse südamerikanische Unabhängigkeitskämpfer Simon Bolivar soll hier auf seiner Reise Richtung Norden genächtigt haben. Ganz besonders beeindruckend finde ich allerdings die Lebensgeschichte von Balthasar Ushca, dem letzten Eishauer vom Chimborazo. Bis zum heutigen Tag erklimmt der über 70-jährige regelmässig den Chimborazo mit seinen Eseln, um Eisblöcke aus dem ewigen Eis zu schlagen und damit die Marktfrauen von Riobamba zu beliefern.
Weiter geht unsere Fahrt in nördlicher Richtung nach Lasso, ein kleines verschlafenes Nest in unmittelbarer Nähe des Vulkans Cotopaxi. Mit seinen 5897 Metern gehört er zu den höchsten aktiven Vulkanen der Welt. Mit dem Auto können wir bis auf 4600 Meter hochfahren. Unglaublich, wenn man bedenkt, dass das Matterhorn nur gerade knapp 4500 Meter misst.
Vom Parkplatz folgen noch weitere 200 Höhenmeter bis zur Schutzhütte José-Ribas. Aufgrund seiner vulkanischen Aktivität, ist dies momentan der höchste zu Fuss erreichbare Punkt am Cotopaxi. Uns genügt das allerdings vollkommen, leiden wir doch wegen der Höhe etwas unter Kurzatmigkeit. Wir entscheiden uns für eine etwas gemütlichere Wanderung und fahren zur Lagune Limpiopungo. Diese kann gut einer Stunde zu Fuss umrundet werden und bietet Ausblicke auf das sagenhafte Bergpanorama des Cotopaxi-Nationalparks.
Am nächsten Tag machen wir uns bereits im Morgengrauen auf um den ursprünglichen Markt in Saquisilí zu besuchen. Dieser findet immer donnerstags statt und ist für uns ein absoluter Höhepunkt. Bereits unterwegs treffen wir Pablo, einen Bauern, der mit seiner Frau und seinen zwei Alpacas auf dem Weg zum Markt ist um dort sein Feuerholz zu verkaufen. Er freut sich über unsere exotischen Gesichter. Europa ist hier das Ende der Welt und so kennt er ausschliesslich unseren westlichen Nachbarn Frankreich. «Francia, Francia…» sagt er immer wieder und lächelt freudestrahlend. Er zeigt sich tief beeindruckt von der langen Anreise aus Europa, die wir auf uns genommen haben, um sein Land kennen zu lernen.
Auf dem Marktplatz von Saquisilí herrscht bei unserer Ankunft bereits emsiges Treiben. Bauern aus der gesamten Region haben sich hier eingefunden, um einerseits ihre Waren zu verkaufen und sich andererseits mit lebensnotwendigen Gütern einzudecken. Wir betrachten dieses Schauspiel völlig fasziniert. Zwischen farbigen Früchte- und Gemüseständen stemmen Bäuerinnen zentnerschwere Kartoffelsäcke auf ihren Rücken und eilen behände zwischen den Ständen hindurch. In den Kochtöpfen brutzeln und schmoren bereits seit Stunden exotische Gerichte und finden bei den Marktbesuchern grossen Anklang. Der Markt ist auch ein geselliger Anlass, bei dem man sich trifft und die neusten Geschichten austauscht. Für unsere westlichen Mägen sind diese Gerüche am frühen Morgen jedoch nicht so ideal und auch die Fleischabteilung ist etwas gewöhnungsbedürftig. Wir besuchen daher lieber noch einmal die Gemüseabteilung, bevor wir uns dann auf den Weg zum Quilotoa-Krater machen. Die Fahrt ab Saquisilí dauert gut zwei Stunden. Wieder führt die Strasse stetig hinauf zum Krater, der auf gut 3900 Metern liegt. Die grünen Berghänge sind relativ dicht besiedelt. Überall wird von der lokalen Bevölkerung Ackerbau betrieben. Oben angelangt geniessen wir den wunderschönen Ausblick auf den Kratersee. Wissenschaftlern zufolge ereignete sich 1280 die letzte gewaltige Eruption. Durch diesen Ausbruch entstand auch die durch Mineralien grünlich verfärbte Kraterlagune. In Quilotoa ist man gut auf die Touristen vorbereitet. Das geschäftige Dörfchen ist voll von kleinen Restaurants und günstigen Backpacker-Unterkünften. Wer nicht zu Fuss gehen möchte, der kann sich auf dem Rücken eines Maulesels ans Ufer der Lagune tragen lassen. In fünf bis acht Stunden kann man die Lagune auch umwandern, was sicherlich die etwas weniger touristische Option ist.
Mit vielen neuen Eindrücken im Gepäck geht unsere Reise weiter Richtung Quito. Je näher wir der Hauptstadt kommen, desto besser ausgebaut sind die Strassen, aber umso dichter wird auch der Verkehr. Nach Tagen im idyllischen Hochland wirkt die Grossstadt wie ein kleiner Schock. Neben dem dichten Verkehr müssen wir in Quito zusätzlich auf die Uhrzeiten achten. Hier herrscht nämlich das sogenannte «Pico y Placa»-System, ein Versuch, das Verkehrschaos etwas in den Griff zu bekommen. Die Endziffern der Autonummern bestimmen, wer wann ins Stadtzentrum hineinfahren darf. Bei Nichtbeachten fallen hier rasch hohe Bussgelder an. Wir haben aber sowieso nicht vor lange bleiben, weil wir als letzte Destination auf unserer Mietwagenreise unbedingt noch das rund 90 Kilometer entfernte Otavalo besuchen möchten.
Wir machen uns also noch am selben Tag auf den Weg in den Norden. Unterwegs lassen wir es uns allerdings nicht nehmen beim Denkmal Mitad del Mundo in Cayambe zu halten, einem von zwei «Mittelpunkten der Erde». Bei diesem Denkmal in Cayambe handelt es sich lediglich um eine kleine, unspektakuläre Abbildung der Weltkugel. Wir lassen uns jedoch die Stimmung nicht verderben, denn wie oft hat man als Schweizer die Gelegenheit direkt auf dem Äquator zu stehen? Ausserdem, so hat man uns versichert, verliert man auf dem Äquator auch an Körpergewicht, weil hier die Schwerkraft am geringsten und die Fliehkraft dafür am grössten sei. Ich muss zugeben, dass ich von diesem Effekt nicht wirklich etwas wahrgenommen habe, aber geschadet hat es sicherlich nicht.
Wir fahren noch die restlichen Kilometer bis nach Otavalo, der Stadt, die von insgesamt drei Vulkanen umgeben ist, dem Imbabura, dem Cotachi und dem Mojanda. Berühmt ist Otavalo allerdings vor allem für den farbenfrohen Markt. Der Hauptmarkttag ist der Samstag und erfreut sich bei Touristen grosser Beliebtheit. Im Zentrum an der Plaza de los Ponchos findet man eine grosse Auswahl an Webarbeiten, Lederwaren, Hüten und Schmuck. Es lohnt sich aber auf jeden Fall, am Samstag in aller Frühe den traditionellen Viehmarkt zu besuchen. Bereits ab fünf Uhr treffen sich die Indígenas aus der Umgebung. Schweine, Schafe, Alpacas oder auch Meerschweinchen, alles kann hier erstanden werden. Dieser Markt ist wahrlich ein Ereignis, das alle Sinne beansprucht. Das Geschrei und der Geruch der Tiere sind überwältigend. Viele der Marktbesucher tragen hier noch die typischen blau und weissen Trachten der Otavaleños. Für uns ist dieser Marktbesuch der perfekte Abschluss einer interessanten Reise durch Ecuador, geprägt von der wunderschönen Andenlandschaft, farbenfrohen Märkten und einer wunderbar gastfreundlichen Bevölkerung.
Text: Janine Schmocker; Fotos: Christian Spies, Dorado Latin Tours