So fährt man in Havanna in den Ausgang: mit einem türkisblauen Chevy aus dem Jahr 1955. Das hat nicht nur mit Stil, sondern auch mit Gesundheitsbedenken zu tun – in den staatlichen Lada-Taxis wird einem schwindlig ob des Benzingestanks.
Im Chevy des privaten Taxista stattdessen versinkt man in Ledersesseln, der Motor schnurrt mit unterdrückter Leidenschaft, aus dem Lautsprecher rieselt ein Danzón. Statt auf die Strasse konzentriert sich Taxista Miguel auf die Frauen: Mit einer Spezialhupe, die hier zu jedem Auto gehört, pfeift er ihnen nach.
Vor uns liegt eine Clubbingnacht, dafür ist Kubas Hauptstadt berühmt: Fiestas! Wenn die Kubaner in der Tristesse des Sozialismus etwas gelernt haben, dann wie man Partys feiert. Das Rezept dazu ist simpel: eine Flasche Rum, Musik, Freunde – und eine lockere Hüfte. Wir starten gemütlich mit einem Cuba libre – auch genannt «Mentira», Lüge – in der kleinen Bar Monserrate in der Altstadt Habana Vieja, gleich um die Ecke von Hemingways Lieblingslokal El Floridita. Dunkles Holztäfer zieht sich fast bis zur Stuckdecke, das «Monserrate» liegt in einem der vielen Kolonialgebäude Havannas, die langsam zerfallen. Franklin, in weissem Sakko und mit passendem Hut, singt ein trauriges «Bésame mucho». In jeder Bar, jedem Restaurant oder Klub spielt eine Liveband – einer der wenigen positiven Effekte eines sozialistischen Landes, wo Stereoanlagen eine Seltenheit sind.
« Wer die Lieder von Buena Vista Social Club nicht mag, kann gleich umkehren: Die CD wird rauf und runter gesungen.»
Franklin und die Band geben den «Chan Chan» wieder, von der Strasse schauen Passanten durch die offenen Fenster rein und singen lautstark mit. Plötzlich gehen die Lichter aus – Stromausfall, ein häufiges Übel in Havanna. Die ganze Strasse liegt im Dunkeln, einzig Franklin singt weiter, seine Stimme braucht keinen Verstärker. Ein paar Sekunden in Dunkelheit verstreichen, dann kommt das Licht zurück.
In Kuba mangelt es an vielem, es herrscht «das tägliche Nichts», wie es Exil-Kubanerin und Autorin Zoé Valdés nennt. Doch von etwas gibt es genug: Musik. Eingestimmt auf die Partynacht haben wir uns bereits am Nachmittag – Fiesta hat in Kuba nichts mit der Uhrzeit zu tun. Wer nicht shoppen kann, geht eben tanzen! Jeden Samstagnachmittag findet der Sábado de Rumba statt, in einer Gasse im Viertel Vedado. Das Publikum: Afrokubaner, schwarz wie die Nacht. Und zwar in Festtagskleidung, sprich in den Markenklamotten, die ihnen die Verwandten aus Miami geschickt haben. Blingbling auf dem Shirt, am Ohr und auf den Zähnen – Hauptsache, es glitzert. «Oye, Rumba!», rufen sie und wackeln mit dem Po. Kinder, die kaum stehen können, tanzen neben ebenso zahnlosen «Abuelas». Die Sonne blendet, man süffelt Rum aus dem 2-dl-Tetrapak, die Band trommelt und trällert, eine entspannte Stimmung voller Energie.
Wir fahren den Malecón, die Uferpromenade entlang in den Westen. Am Malecón feiern diejenigen, denen es zu schwül ist zu Hause, die aber kein Geld für einen Klub haben – also die meisten Kubaner. Die anderen, die ein paar Pesos Convertibles übrig haben, gehen in die Casa de la Música ins Villenviertel Miramar. Die Bands, die hier auftreten, haben es geschafft: Die Casa de la Música ist ein Garant für gute kubanische Musik. Und für freizügige Frauen. Es gilt die Regel: Weniger ist immer besser. Tiefe Ausschnitte, Ultraminiröcke, nackte Bäuche. Die Kultband Bamboleo steht auf der Bühne, singt von Corazón und Amor und macht die Casa zu einem Sexkessel mit zuckenden Leibern.
« Wenn es in Castros Kuba etwas im Überfluss gibt, sind es herrliche, schamlose und selbstbewusste Frauen. »
- Pedro Juan Gutiérrez
Kuba ist wohl das einzige Land, wo man aus dem Taxi steigt und gefragt wird: «Taxi?» So passiert vor dem Hotel Riviera am Malecón. Im Hotel-Klub Copa Room ist die Stimmung wieder eine ganz andere, Clubbing in Havanna bedeutet auch, von einem Viertel, von einer Gesellschaftsschicht in die nächste einzutauchen. Stampfender Reggaeton – eine Mischung aus Dancehall, Reggae, Hip-Hop und Latin – dröhnt aus den Boxen, es ist der Sound der jungen Habaneros. Die Männer mit Gelfrisuren, engen Hemden, zerrissenen Jeans, die Frauen in kurzen, bonbonfarbenen Röckchen und goldenen Pumps – es kann nicht kitschig genug sein. Baby Lores, einer der Stars der Reggaeton-Szene, ist heute zu Gast, im weissen Anzug und natürlich mit Sonnenbrille (das finden die Kubaner cool, nicht lächerlich). Der Sänger zeigt sein grosses Tattoo von Fidel auf dem Oberarm, die Masse johlt – Zwangspatriotismus oder Verblödung? Er hat zehn Musiker mitgebracht, eine tolle Combo, die schon beim ersten Song für Begeisterung sorgt.
Taxifahrer Miguel legt die nächste Salsa-CD ein. Wir können das Gedudel nicht mehr hören! Haben es Jacko und Madonna nicht in die Klubs von Havanna geschafft? «Mhm», meint Miguel, «wie wärs mit House?» Er kenne einen Techno- Schuppen, das «11 y 4». Tagsüber ist es eine Snackbar, abends legt hier DJ Joyvan auf. Er hat die House-Szene in Kuba zum Laufen gebracht und ist bekannt für seine Raves am Malecón. Neue Songs saugt er sich von den iPods der Touristen herunter – anders kann er sich die Musik nicht besorgen. Hier trifft sich die alternative Szene, Studenten, Künstler, man sieht viel Rastas und wenig Haut. Fotografieren dürfen wir nicht, zu gross die Angst, dass nicht nur schöne Fotos, sondern auch jene von der maroden Decke ins Ausland gelangen. Neben dem «11 y 4» liegt ein Supermarkt – gänzlich leer, einzig acht Büchsen Ton stehen im Regal. Todo por la Revolución?
Es ist vier Uhr morgens, Fahrer Miguel macht einen letzten Abstecher erneut nach Miramar, ins «Don Cangrejo», einem Open-Air-Klub mit Pool, direkt am Meer. Statt Minis tragen die Frauen lange Röcke, stilvoll gekleidete Europäerinnen, meist Angestellte aus den Botschaften. Musiker Sting und Schauspieler Benicio del Toro wurden hier schon gesichtet. Weniger Sex, mehr Musik – und kein Salsa: Der Rocker David Torrens unterhält das Partyvolk mit schriller E-Gitarre. Es ist schwül, die Brise vom Meer kühlt nur ein bisschen, und es dauert nicht lange, bis die Ersten in den verlockenden Pool springen, mitsamt den Kleidern.
Dieser Artikel erschien im Original in der Kuoni-Publikation «Link».
Fotos: DER Touristik Suisse AG