Das perfekte Stadtbild mit dem malerischen Christianshavn und der Börse im Renaissancestil kannte ich schon. Nach einem Wochenende in der Designmetropole habe ich noch etwas Anderes gefunden: ausgelassene Dänen unter einer Brücke.
Die Wolken ziehen schnell vorbei. Vor allem wenn man auf einem Elektrofahrrad sitzt. «Das Citybike-System ist in Kopenhagen soeben erneuert worden», sagt Freja (25). Die futuristisch anmutenden weissen Fahrräder stehen an jeder grösseren Station. «Form follows function» denke ich, als ich auf diesem schnellen und bequemen Design-Fahrrad sitze. Im Design-Prinzip welches die Form der Funktion des Objektes unterstellt, darin sind die Dänen Meister. So ein High-Tech-Fahrrad mit Bildschirm und Navigationssystem hatte ich noch nie. Auf dem breiten Fahrradstreifen cruise ich Richtung Innenstadt.
Freja ist in Kopenhagen aufgewachsen und hat in Amsterdam soeben ihr Grafik-Design-Studium abgeschlossen. Wir haben in Amsterdam ein Jahr lang zusammengewohnt. Mit ihr hatte ich immer anregende Gespräche über Kunst, Design und Kultur. Als wir zusammen durch das Dänische Designmuseum spazieren und die Alltagsobjekte der grossen Dänischen Designer wie Kaare Klint, Poul Henningsen, Arne Jacobsen und Verner Panton begutachten, bin ich erstaunt, wie viele Stühle aber auch Lampen ich bereits kenne. Der schwedische Möbelhersteller Ikea aber auch andere Massenhersteller bedienen sich gerne der Designklassiker als Inspiration für ihre Verkaufshits. «Jetzt fahren wir noch dorthin, wo sich dänisches zeitgenössisches Design bestens verkauft!», sagt Freja, während sie an ihrem Kaffee im wunderschönen Museumsgarten nippt.
Illums Bolighuis ist seit hundert Jahren eine Institution in Dänemark. Am Amagertorv, im Herzen der Stadt, wo sich Freja eigentlich selten aufhält, steht dieser dreistöckige Einkaufstempel. Designliebhaber finden klassisches wie das berühmte Royal Copenhagen Porzellan oder Verner Pantons Stühle, aber auch moderneres wie die Regenjacken von Ilse Jacobsen.
Wir sitzen im Mad & Kaffe im Stadtteil Vesterbro. Das Café wurde dieses Jahr zum besten Café der Stadt gekürt. Das klassische Smörrebröd mit Fisch und eines mit Kartoffeln muss hier sein. Auf den ersten Blick sieht man nichts vom feinen, dunklen Roggenbrot. So perfekt liegt der Dill auf dem Fisch, ich wage mich erst gar nicht, das essbare Kunstwerk mit dem Messer zu schneiden. Der Fisch mit Kapern, Salat und Zitrone schmeckt herrlich. Eine Frau schiebt ihren Kinderwagen an uns vorbei. «Früher war das ein Arbeiterquartier, jetzt ist es hip, hier zu wohnen», sagt Freja. Es leben viele junge Familien im Stadtteil hinter dem Bahnhof. In den letzten Jahren sind die Wohnungspreise in die Höhe gestiegen, erklärt Freja. Doch in Vesterbro wird nicht nur Kaffee getrunken und Kinderwagen geschoben. Hier spielt sich auch ein grosser Teil des Nachtlebens ab. Im Meatpacking Quartier sind in den letzten Jahren viele neue Restaurants, Bars und Tanzlokale nur so aus dem Boden geschossen. Wir treffen uns auf ein Bier mit einigen von Frejas Freunden. Die meisten Lokale sind im angesagten industrial chic eingerichtet – wie man es aus New York kennt. Bärtige junge Männer in skinny Jeans und junge Frauen in modischen 90er-Jahre-Vintage Outfits bewegen sich zu elektronischer Musik oder nippen an einem Bier.
«Und jetzt noch das Touristenprogramm!», sagt Freja lachend, als wir auf das Kanalboot steigen. Abfahrt ist beim pittoresken Nyhavn, der mich mit seinen farbigen, schmalen Häusern stark an Amsterdam erinnert. Die Ähnlichkeit ist nicht ungewollt, vor allem nicht im Stadtteil Christianshavn. Die Architekten, teils Holländer, dachten beim Bau tatsächlich an Amsterdam. Die Tour führt uns am riesigen, neo-futuristischen Opernhaus des Architekten Henning Larsen vorbei. Es ist mit über 500 Millionen Baukosten eines der teuersten Bauwerke der Welt. Die Zusammenarbeit zwischen dem Architekten Larsen und dem Grossindustriellen und Reeder Maersk soll nicht immer einfach gewesen sein. Am Ende musste sich der Architekt allerdings den Wünschen des Reeders beugen, erklärt mir Freja. Neben der Sicht auf die kleine Meerjungfrau des Kopenhagener Bildhauers Edvard Eriksen – die man auch gut mit dem Fahrrad erreichen kann – lohnt sich die Kanalfahrt vor allem, um die Stadt und ihre Bauten vom Wasser aus zu sehen.
Die Bevölkerung im Stadtteil Nørrebro im Norden der Stadt ist sehr durchmischt. Der Stadtteil ist vor allem wegen dem Assistens Friedhof bekannt, wo der dänische Philosoph Sören Kierkegaard und der Schriftsteller Hans Christian Andersen begraben liegen. «Jetzt siehst du ein ganz anderes Kopenhagen als bisher». Ich höre dröhnenden Bass, sehe eine riesige Autobrücke. Darunter ein improvisiertes Strassenfest. An die 300 Dänen und Däninnen tanzen ausgelassen mit Bierflasche in der Hand. Ich finde es toll, dass einer so trostlosen Ecke Leben eingehaucht wird. Bis jetzt hatte ich den Eindruck eines perfekten, beinahe kantenlosen Stadtbildes. Dieses ist nun lebendig geworden: Es ist das erste Mal, dass ich Müll auf der Strasse entdecke. Darüber freue ich mich. Kopenhagen ist eben auch nur eine Stadt.
Fotos: 1,2,5,6,7,8,9 iStock / 3,4 Dänisches Designmuseum