Keine Eile auf Sansibar

Ein Tag an einem Ort, wo alles Pole Pole ist
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Reisender

Alessandro Spadola

Er ist ein Mann der Taten: Brochure Designer Alessandro Spadola. Mit seinem Händchen für Stil und Ausdruck zaubert er sogar in Graustufen das gewisse Etwas. Klassische Reiseziele sind nichts für ihn — mit einer Portion Neugier und Mut ergründet er am liebsten die entlegensten Winkel der Welt. Seine innere Balance findet er beim Kampfsport Krav Maga oder bei einer Portion Pasta; ganz nach sizilianischem Rezept.

Zwei Regeln, die man als Reisender auf Sansibar beachten muss: Regel Nummer 1: Pole Pole, langsam langsam. Den Suaheli-Ausdruck hört man als europäischer Reisender insbesondere dann, wenn man sich nach fünf Minuten danach erkundigt, wo das Taxi bleibt. Taucht der Fahrer hingegen gar nicht erst auf, gilt Regel Nummer 2: TIA. This is Africa. Hier ist es eben so. Alles kann, nichts muss, mal kommt das Taxi, mal eben nicht. Wer sich aufregt, ist selbst schuld. 

Wir haben Glück. Unser Taxifahrer biegt pünktlich in die Einfahrt ein und nach den ersten paar Kilometern in der Ortschaft Jambiani merken wir: Sein Fahrstil ist alles andere als Pole Pole. Als hätten wir ein Blaulicht auf dem Dach, braust er vorbei an den lokalen Sammeltaxis «Daladala», ignoriert Schlaglöcher und hupt jeden Velofahrer aus dem Weg. Als wir in eine Verkehrskontrolle geraten, nimmt er seelenruhig eine Schillingnote vom Stapel im Handschuhfach und gibt dem Polizisten einen kräftigen Händedruck. Die Sache ist damit erledigt und wir brausen im gleichen Tempo weiter nach Sansibar-Stadt. 

Der Ort empfängt uns mit strahlend blauem Himmel und einer ungewohnten Mischung aus palmengesäumten Strassen und DDR-Charme. Die Plattenbauten im Stadtteil Michenzani stammen aus den späten 1960-ern und sind ein Geschenk Ostdeutschlands. Ein Dankeschön dafür, dass Sansibar die DDR offiziell als Staat anerkannt hatte. Vor einem mausgrauen Hauseingang scheint sich ein Frauengrüppchen mit Einkaufstüten über etwas zu amüsieren. Knallbunte Wickelkleider, knallbunte Kopftücher, knallbunte Sandalen; mit ihrer farbigen Garderobe sehen die Damen aus wie eine lebendige Palette von Pantone — mit orientalisch-afrikanischen Mustern. 

In Stone Town, der UNESCO geschützten Altstadt von Sansibar-Stadt, steigen wir aus und treffen unseren Tour Guide. Es wird ein Streifzug durch die turbulente Geschichte Sansibars und ein Besuch jener Orte, die den Inselalltag der Menschen prägt. Sansibar war bis ins 19. Jahrhundert Hauptumschlagplatz für Sklaven und Elfenbein. Dort, wo heute die anglikanische Kirche steht, wurde früher mit Menschen gehandelt. Der wohl berühmteste und gefürchtete Händler Tippu Tip soll auch lange nach dem Sklavereiverbot von 1873 seinen grauenhaften Geschäften nachgegangen sein. 

In den Markthallen an der Creek Road mischen wir uns unter das Gewusel. Wieder begegnen uns die Pantone-Damen, aber auch Herren mit bestickten Kofias auf dem Kopf und bodenlangen weissen Kanzu-Roben. Sie feilschen was das Zeug hält; um exotische Früchte und um mir zum Teil unbekanntes Gemüse in allen Farben. Aber auch um Fisch, der trotz der starken Hitze ungekühlt aufgebahrt auf Holztischen zum Verkauf bereit liegt. Mir dämmert, weshalb unser Koch im Hotelrestaurant die Gerichte stets verkocht oder so lange brät, bis sie zäh und ledrig sind. Als ich ein Foto von der ungewohnten Verkaufsfläche machen will, stehen alle Leute einen Schritt zurück und machen Platz. Niemand schaut uns seltsam an, obwohl man vom Schiff aus erkennen kann, dass wir Touristen sind. Wie es scheint, die einzigen. 

Unser Tour Guide führt uns danach zum angeblichen Geburtshaus von Queen-Frontmann Freddie Mercury. Ob es aber nun genau dieses Haus, oder doch vielleicht das nebenan war – man weiss es nicht. Beeindruckend ist die Eingangstür, die zwar morsch ist, aber mit ihren prachtvollen Schnitzereien sehr besonders aussieht. Ganz zu schweigen von den Holztüren der Kaufmannshäuser: majestätisch, auf Hochglanz poliert und mit goldenen Noppen versehen. Die Haustür galt und gilt vielleicht mancherorts immer noch als Statussymbol. 

In einem nahe gelegenen Restaurant nehmen wir unser Mittagessen ein. Gemüsecurry für meine vegetarische Freundin, Pasta für mich. Grosser Fehler. Während sich ihr Curry als himmlisch entpuppt und eine bildhafte Untermauerung des Namens Gewürzinsel Sansibar darstellt, ist meine Tomatensauce frei von jeglichem Geschmack. Der Spaziergang durch eine Gewürzplantage am Nachmittag heitert mich wieder auf. Unser Plantagen-Guide erklärt, dass Zimt aus einer Rinde stammt, Nelken die Exportschlager sind und Vanille- wie Bohnenstangen aussehen. Während er redet, pflückt sein Gehilfe die Gewürze, Kräuter oder Früchte von der Pflanze und hält sie uns zum Riechen und Probieren hin. Gegen jedes Leiden scheint hier ein Kraut zu wachsen. Ich staune über das Wissen der beiden Männer und ihre Verbundenheit mit der Natur. Da kommt mir Pole Pole in den Sinn. Langsam zu sein, heisst auch, sich Zeit zu nehmen. Die Sansibarer leben das vor, was uns manchmal im Alltag fehlt. 

Das Highlight des Gewürzplantagen-Ausflugs ist die Bixa Orellana, auch genannt Lippenstift-Pflanze. Der Gehilfe öffnet die kastanienförmige Frucht, sodass die roten Beeren zum Vorschein kommen und bemalt sich damit die Lippen. Natürliche Schminke. Meine Freundin ist begeistert. Alle lachen laut, es ist der Eisbrecher. Jetzt stellen nicht nur wir Fragen. Auch sie wollen von uns wissen, welchen Bezug wir zur Natur haben. In jeder Hinsicht. Als unverheiratetes Paar so zu reisen wie wir, das sei hier nicht möglich. 

Am späten Nachmittag, zurück in unserem Boutique-Resort mit dem wohlklingenden Namen Mwezi (Mondschein auf Suaheli), setzt sich die Lektion in Sachen Natur fort. Es ist Ebbe und das Wasser hat sich weit zurückgezogen. Ein unbeschreiblich schönes Landschaftsbild aus Sandtönen und Türkis in allen Nuancen setzt sich vor uns zusammen. Einheimische Frauen in Sandalen waten im Nass und beladen ganze Säcke mit Algen, die sie Wochen zuvor an Seile geknüpft haben. Später werden sie ihre Ernte mit kerzengeradem Rücken auf dem Kopf balancieren und an Händler verkaufen. Weil die Algen reich an Carrageen und Agar sind, werden sie in der Kosmetik- und Lebensmittelindustrie verwendet. Carrageen beispielsweise ist auch bekannt Lebensmittelzusatzstoff oder Verdickungsmittel, das in Milchshakes, Hautcremes und Gummibärchen vorkommt. 

Wir spazieren am einsamen Strand entlang und schauen dem Treiben zu. Anderen Touristen begegnen wir kaum, genau wie die Tage zuvor. Hier und dort spielt eine Horde Jugendlicher Fussball im Sand, mal kreuzt ein Velofahrer unseren Weg, die Beachboys wollen uns ihre Waren verkaufen. «Jambo» hallo, rufen sie uns nach. Von Weitem erkennen wir unser Ziel: das Restaurant The Rock. Es sieht aus wie ein verwunschenes Eiland aus einem Märchenbuch. Wir essen fantastisch und laben uns im Anblick des Meeres, das sich langsam mit der Flut zurückmeldet. Auf dem Rückweg müssen wir ein Boot nehmen, was romantisch ist. Und später ein Taxi, was weniger romantisch ist. Wieder die Schlaglöcher, wieder die Hupe. Es ist schon dunkel, als wir im Hotel ankommen und es uns auf der Terrasse gemütlich machen. Über uns leuchtet der Mond – eine gigantische Kugel in Dunkelrot. Die unzähligen Sterne schmücken das Firmament und krönen die Nacht. 

Aufgezeichnet von: Magdalena Ostojić
Fotos: Alessandro Spadola